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Bessere Verständlichkeit oder wertschätzende Korrektheit?

von | 31. Mai 2023 | Inside

Der heutige „Artikuliere-vollständige-Sätze-Tag“ sorgte schon bei der ersten Erwähnung für spannende Diskussionen in unserer Redaktionssitzung. Zudem war es mal wieder Zeit für eine neue HK-Serie – also nutzten wir diesen kuriosen Feiertag und präsentieren hiermit Folge 1 der Reihe „Pro & Kontra“!

Vollständige Sätze sind weniger primitiv, wertschätzender und verständlicher

Ich erinnere mich noch gut an frühere Tischsituationen mit meinem Vater. „Kann ich mal die Butter?“ war einer der typischen Sätze, die mein Bruder und ich gerne von uns gaben. „Was denn?! Zertreten, auslöffeln, gegen die Wand schmeißen?“ gab mein Vater zurück und wurde in seiner unbändigen Leidenschaft, noch zehn weitere Beispiele anzuführen, wenn man ihm die Gelegenheit ließe, von einem genervten „Kann ich mal die Butter HABEN?“ unsererseits unterbrochen.

Ja, mein Vater legte Wert auf vollständige Sätze und ja, er war hartnäckig genug, unseren Frevel ausnahmslos anzuprangern. Vielleicht hat es daher auf mich abgefärbt.

Wenn Unterhaltungen in der Bahn die „Sätze“ „Gehst du Konsti?“ (Konsti ist die Kurzform der Station „Konstablerwache“), „Fresse!“ und „Stress, Brudi!“ enthalten, zuckt mir vor Aversion kurz das Augenlid. Nun sorgen auch die ausformulierten Varianten „Bist du gerade auf dem Weg zur Konstablerwache?“, „Halt die Fresse“ und „Ich habe derzeit viel Stress, mein Bruder“ nicht für sprachstilistische Ekstase, aber irgendwie wertschätzender, weniger primitiv und auch verständlicher wird es dadurch trotzdem, oder?

Zudem sprechen nicht nur junge Menschen so. Dass Hape Kerkeling den Satz „Ich hab Rücken“ geprägt hat, ist schließlich kein Zufall. Und wen wundert es auch? In einer Zeit, in der es nur ums Sparen und Effizienz geht, kann man die Grundregeln der Satzlehre ruhig mal außer Acht lassen. Verstanden wird man ja trotzdem. Kein Bock. Zu faul. Muss halt. Sagen alle.

Ich gehe sogar noch mit bei dem Umstand, dass man Textnachrichten verkürzt formuliert. Ich bin 1985 geboren und weiß noch gut, wie man als mittellose Studentin bei jeder SMS ganz genau überlegte, welche Worte, Satzzeichen, ja sogar Buchstaben man entbehren kann, damit die Handyrechnung nicht zu hoch ausfällt.

Früher war es das Worteinsparen beim Telegramm, was zu Satz-Verbrechen wie „Ankomme morgen“ geführt hat, um bares Geld zu sparen. Aber welchen Anlass gibt es in der mündlichen Kommunikation?

Keine Zeit. Will niemand hören. – Kann’s mir denken. Aber vielleicht kann mein kleines Plädoyer oder der „Artikuliere-vollständige-Sätze-Tag“ ja ein bisschen dazu verhelfen, sich zumindest mal bewusst zu machen, was wir tagtäglich sprachlich so alles anstellen.

Und ich werde mir Mühe geben, meiner Familie nicht ganz so hartnäckig wie mein Vater auf den Senkel zu gehen, wenn unser zweijähriger Sohn mal wieder von seinem Papa gefragt wird: „Willst du Joghurt?“ Bei Kleinkindern ist es schon ein kognitiver Quantensprung, wenn die Eltern auf einmal Zweiwortsätze zu hören bekommen. „Mama blöd“ bekomme ich da mit Sicherheit auch bald zu anderen Anlässen um die Ohren gehauen.

Manchmal erzielt ein Satzfragment eine bessere Wirkung

Sprache hat den Auftrag Verständnis zu erzielen. Die Botschaft des Absendenden soll den Empfänger erreichen.

Es gibt bestimmte Situationen, in denen dieses Verständnis unter besonderen Bedingungen erzielt werden muss. Zum Beispiel in besonders kurzer Zeit. Spätestens dann plädiere ich dafür, dass Verständnis vor Korrektheit geht.

Ich erkenne gerne an, dass die Konvention vollständige Sätze vorsieht. Ich unterschreibe, dass ein orthografisch und grammatikalisch korrektes Sprachbild für ein Level des kulturellen Miteinanders steht. Mehr noch: Ich kann mich nicht der Faszination entziehen, wenn Sätze in perfekter Form gesagt werden oder geschrieben stehen.

Aber das Leben ist nicht perfekt, die Bedingungen, unter denen wir kommunizieren, sind eben nur sehr selten quasi laborhafte Bedingungen.  Sprache hat vielmehr mit Wirklichkeit zu tun und die impliziert, dass es Kompromisse, Abkürzungen, ja, auch Launen gibt, die dafür sorgen, dass die Wörter in sehr unterschiedlichen Kombinationen hintereinander gereiht werden. Manchmal knapper als vorgesehen.

Sätze sind auch das Ergebnis unterschiedlicher Bildungslevels und Herkunfts-Milieus, insofern kann es ein Weg sein, sich qua verkürztem Satz oder dem Angebot von Fragmenten einem anderen Verständnisniveau anzupassen.

Verkürzung kann sogar eine Stilfrage sein.

Ein Fragment, unsachgemäß mit einem Punkt abgegrenzt, kann erreichen, dass eine Info, ein Element, möglicherweise sogar die Kernbotschaft anschaulicher werden, sozusagen laut „Hier!!“ schreien, statt in einem kompletten, wohlfeil ausformulierten Satz untergehen, eingewickelt zwischen Kommas und Nebensätzen.

Und: Sprache entwickelt sich. Was heute korrekt ist, muss morgen nicht mehr korrekt sein. Sprache hat sich immer geformt und verformt, angepasst. Ich finde das gut. Abgesehen davon lässt es sich nicht aufhalten.

Wir als Profis für Texte in Werbung und Kommunikation stehen in einem Spannungsfeld zwischen Standards und dem Wunsch aufzufallen. Die bewusste Satzverkürzung kann auch für uns die Lösung darstellen. Warum auch nicht?

Zu guter Letzt: Nicht jeder, der Sprache einsetzt, ist gleichzeitig auch Spracherziehungsbeauftragter. Er ist in erster Linie ein Bedürftiger. Das Bedürfnis lautet: Verständnis herzustellen. Dafür braucht es. Nicht immer. Einen kompletten Satz.

„Ich hatte von Anfang an Verantwortung“

„Ich hatte von Anfang an Verantwortung“

2 min.

Teil 1 einer kurzen Serie zu 15 Jahre Hauptsache Kommunikation: „Ehemalige HK-ler:innen erzählen“. Heute: Julia Höft, die uns mehrere Jahre lang als Werksstudentin unterstützt hat und inzwischen als Shopper Marketing Managerin in einem Pharmakonzern arbeitet.

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