Ein BGH-Urteil wird die Funktion Google Suggest (auch Autocomplete genannt) grundlegend verändern. Was dies für die Suchmaschinenoptimierung bedeutet, beschreibt Mario Jung, Geschäftsführer von meine-reichweite.de und Partner im HK-Netzwerk, in diesem Blogbeitrag.
Am 14.05.2013 kassierte der BGH ein Urteil des OLG Köln, das den Unterlassungsanspruch eines Klägers gegen Google zuvor abgewiesen hatte. Das klagende Unternehmen fühlte sich durch die Autocomplete-Funktion des Suchmaschinenbetreibers in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, weil die Funktion seinen Namen zusammen mit Suchbegriffen auflistete, die ihm missfielen und es sich dadurch in seinem geschäftlichem Ansehen verletzt sah. Der BGH wies den Fall zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht Köln zurück und gab dem Kläger in weiten Teilen Recht.
Worum es in dem Urteil ging
Ein Network-Marketing-Unternehmen, das Nahrungsergänzungsmittel und Kosmetika vertreibt, sah sich durch die Ergänzungen „Scientology“ und „Betrug“, die neben dem Firmennamen in der Autocompleteliste von Google auftauchten in seinen Persönlichkeitsrechten bzw. geschäftlichem Ansehen verletzt. Die vorherige Instanz am OLG Köln hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass den Suchergänzungsvorschlägen der Autocomplete-Funktion kein eigener Aussagegehalt beigemessen werden kann. Das sah der BGH am 14.05.2013 jedoch völlig anders. Die Richter attestierten den Suchvorschlägen einen „fassbaren Aussagegehalt“, der einen sachlichen Zusammenhang herzustellen vermag. Damit sei Google schließlich die im vorliegenden Fall festgestellte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts unmittelbar zuzurechnen. Der entscheidende Passus in der Urteilsbegründung führt aus, dass Google zwar nicht vorab algorithmusgesteuerte Suchergänzungsvorschläge auf mögliche Rechtsverletzungen überprüfen muss, im Rahmen der Störerhaftung aber in der Pflicht steht, zu handeln, wenn Google Kenntnis von derartigen Rechtsverletzungen erhält.
Was das Urteil für Google genau bedeutet
Ob sich die Google Autocompletefunktion unter derartigen Bedingungen im deutschsprachigen Web auf Dauer überhaupt noch sinnvoll weiterbetreiben lässt, ist die Frage. Im Urteil heißt es dazu: „Weist der Betroffene den Betreiber auf eine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechts hin …“. Konkret bedeutet das: Ein Anruf oder eine E-Mail an Google genügt. Dann muss Google prüfen, ob eine rechtswidrige Verletzung der Persönlichkeitsrechte vorliegt und dafür sorgen, dass die beanstandeten Vorschläge nicht mehr erscheinen, oder muss es auf einen möglichen Rechtsstreit ankommen lassen. Welche Dimension dies annehmen könnte, ist kaum absehbar, denn jeder, der sich in seinem Persönlichkeitsrecht oder geschäftlichem Ansehen verletzt fühlt, kann sich nun bei Google beschweren. Eines ist sicher: Auf den Suchmaschinenbetreiber kommt viel Arbeit zu. Langfristig führt das Urteil die Funktion, welche algorithmusgesteuert häufige Begriffe und Begriffskombinationen während des Eintippens ergänzt und auflistet, ad absurdum, weil die Ergebnisse genau durch diesen Eingriff verfälscht werden. Der Google-Nutzer sieht nicht mehr nur per Algorithmus errechnete Worte und Wortkombinationen, nach denen andere Nutzer häufig suchen – so, wie Google behauptet – sondern nur noch solche Vorschläge, die genehm sind und niemanden in seinen Persönlichkeitsrechten verletzen. Was die Autocompletefunktion langfristig dann überhaupt noch für einen Wert hat, kann sich jeder selbst ausmalen.
Was jetzt auf Suchmaschinenoptimierer zukommt
War die Funktion bislang eine absolut verlässliche Quelle für erstklassige Keywords und Keywordphrasen, so wird das bei konsequenter Umsetzung des Urteils durch Google künftig nur noch eingeschränkt der Fall sein. SEO-Agenturen werden wieder verstärkt auf andere Verfahren zurückgreifen müssen, um populäre Keywords zu einem Thema verlässlich aufzuspüren. Der Nutzwert der Autovervollständigungsfunktion wird abnehmen, weil Google künftig verpflichtet ist, in die Funktion einzugreifen. Gute SEO-Agenturen werden sich nie allein auf eine Quelle verlassen, sondern eine Vielzahl von Tools einsetzen, um erstklassige Keywords aufzuspüren. Daran ändert auch das BGH-Urteil nichts.
Mögliche Auswirkungen auf den Nutzwert der Autocompletefunktion
Es mag durchaus sein, dass bei der Vervollständigung eines Suchbegriffes um negativ besetzte Begriffe und vermutete Gerüchte eine Eigendynamik entsteht, welche die Klickhäufigkeit dieser Begriffskombination nährt und sich negativ auf die Online-Reputation von Personen oder Firmen auswirken kann. Doch wie sieht es im umgekehrten Fall aus, wenn eine Suchbegriffsergänzung einer Tatsache entspricht, die ein betroffenes Unternehmen lieber unterdrücken möchte? Nehmen wir einen Hersteller, dessen Marke Namensbestandteil eines mängelbehafteten Produktes ist und per Beanstandungsmeldung an Google versucht, sich häufende Hinweise auf versteckte Sicherheitsmängel zu unterbinden. Suchvorschläge wie „Hersteller Produktname Lebensgefahr“ und ähnliche Vorschläge verschwinden urplötzlich, weil sich das Unternehmen in seinem geschäftlichen Ansehen verletzt fühlt. Dann benutzt dieser Hersteller, sein Einspruchsrecht gegenüber Google als Marketingmaßnahme, um die Hinweise auf einen Produktmangel zu unterdrücken und einen wirtschaftlichen Nachteil zu vermeiden. Wenn das alle praktizieren, dann werden von Google bald nur noch genehme Firmen- und Produktwelten präsentiert, die absolut nichts mehr mit der real existierenden Suchmaschinennutzer-Welt zu tun haben.
Mario Jung ist Geschäftsführer der SEO-Agentur meine-reichweite.de, die zum Netzwerk von Hauptsache Kommunikation gehört.